Tausend Mal gedenk ich dein (German Edition) by Heike Eva Schmidt

Tausend Mal gedenk ich dein (German Edition) by Heike Eva Schmidt

Autor:Heike Eva Schmidt
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
veröffentlicht: 2014-08-20T22:00:00+00:00


***

Am nächsten Morgen hatte ich überhaupt keine Lust, in die Schule zu gehen. Ich trödelte so lange am Frühstückstisch herum, bis meine Mutter fast die Nerven verlor. Mein Vater war natürlich längst im Büro. Auf dem Fahrrad musste ich dafür ordentlich in die Pedale treten, um nicht zu spät zur ersten Stunde zu kommen. Als ich etwas außer Atem das Klassenzimmer betrat, stand Frau Ulbrich mit dem Rücken zur Klasse und schrieb bereits eifrig irgendwelche Formeln an die Tafel. Zu meiner Verblüffung saß auf dem Platz neben mir jetzt Siska, unsere Klassenbeste, die bislang immer in der ersten Reihe gethront hatte.

»Jule hat nach einer Mittelohrentzündung letzten Winter Probleme mit dem Hören«, gab Siska auf meinen verwunderten Blick hin kurz angebunden Auskunft. »Sie hat die Ulbrich gebeten, ob sie weiter vorne sitzen kann. Also haben wir getauscht.«

Obwohl ich wusste, dass Jule der Lehrerin wahrscheinlich eine faustdicke Lüge aufgetischt hatte, war ich erleichtert. Jule zog sich zurück, und das konnte nur bedeuten, dass sie künftig die Füße stillhalten würde. Ich hatte mal gelesen, dass das für Leute, die andere mobben, typisch ist: Sobald sie zur Rede gestellt werden, ziehen sie den Kopf ein und geben Ruhe. Da ich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, ja, einen fast körperlichen Widerwillen hatte, weiterhin neben dem Mädchen zu sitzen, das versucht hatte, mich ins Abseits zu manövrieren, nahm ich unsere anerkannte Streberin Siska gerne in Kauf. Über ihre schleppende Sprechweise und die nervige Angewohnheit, jedes Wort unserer Lehrer mitzuschreiben, konnte ich notfalls hinwegsehen.

Punkt acht Uhr ging die Tür auf, und mit dem Gongschlag drückte sich Jule rasch durch die Klassenzimmertür. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen und ohne einen Blick zu mir nach hinten zu werfen, huschte sie zu ihrem neuen Platz. Wie eine Ratte, dachte ich verächtlich. Und nichts anderes war sie in meinen Augen.

Später auf dem Schulhof hielt ich nach Pina Ausschau, als mir jemand von hinten die Augen zuhielt. »Nelly-Spirelli, hast du Lust, heute Nachmittag mit mir Erdbeeren zu ernten? In unserer Datscha ist das Beet jetzt voll von dem leckeren Zeug«, vernahm ich Pinas vertraute Stimme. Überrascht drehte ich mich um.

»Du gehst wieder in die Hütte?«, fragte ich. Nach dem letzten Mal, als Pina dort Hinweise auf die neue Freundin ihres Vaters gefunden hatte, war ich davon ausgegangen, dass sie den Ort eine Zeitlang meiden würde.

»Klar, frische Erdbeeren, noch dazu für lau, das lasse ich mir doch nicht entgehen! Aber du bist bestimmt anderweitig verabredet, stimmt’s?«, fragte sie leichthin. Ich wusste, sie spielte auf Elias an, und die Erinnerung an das, was ich gestern über ihn erfahren hatte, bescherte mir einen kurzen bitteren Schmerz knapp unterhalb des Schlüsselbeins. Ich schüttelte nur stumm den Kopf, weil ich Angst hatte, dass mir der ganze Tag verdorben wäre, wenn wir jetzt über ihn sprachen.

Pina sah mich prüfend an. »Sagen wir so gegen vier? Bis dahin müsste ich mit den Hausaufgaben fertig sein.«

Ich nickte, und es gelang mir sogar, zu lächeln.

Es war immer noch heiß, als wir um fünf Uhr im Erdbeerbeet knieten, jede mit einem gefüllten Körbchen vor sich.



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